WILHELM ERNST OSWALT
LUDWIG "LUX" OSWALT
IRENE HILB
In der Bettinastraße 48 liegen Stolpersteine für Irene Hilb, Ludwig "Lux" Oswald und Wilhelm Ernst Oswald.
Wilhelm Ernst Oswalt wurde in Frankfurt als Sohn von Heinrich Oswalt und Brandine, geb. Deichler, geboren und war seit 1901 Mitinhaber des Frankfurter Verlags Rütten & Loening. In dem 1944 gegründeten Verlag war das berühmte Kinderbuch „Struwwelpeter“ von Heinrich Hoffmann erschienen.
Bereits sein Vater Heinrich Oswalt (1830-1891), ein Neffe des Verlagsgründers Joseph Rütten, war zusammen mit Karl-Friedrich Loening Inhaber des Verlags. Als Heinrich Oswalt, der vom Judentum zum Protestantismus konvertiert war, starb, übernahm seine Frau Brandine Oswalt den Verlag. Sie war eine Tochter des Pfarrers Johann Christian Deichler, der von 1843 bis 1873 an der evangelischen St. Peterskirche wirkte.
Nach der Übernahme des Verlags durch Wilhelm Ernst Oswalt wurde 1905 der jüdische Religionsphilosoph Martin Buber (1878-1965) für zehn Jahre Cheflektor des Verlags, 1913 übernahm Adolf Neumann die Geschäftsführung und wurde Teilhaber.
1918 heiratete Wilhelm Ernst Oswalt die jüdische Lehrerin Wilhelmine Rosenhaupt. Ihre gemeinsame Tochter Fanny starb noch im selben Jahr. 1920 und 1922 wurden die Söhne Wilhelm Heinrich, genannt Heiri, und Ernst Ludwig, genannt Lux, geboren. Beide wurden in der Peterskirche getauft, Wilhelm Heinrich am 18. Juli 1920, Ernst Ludwig Oswalt am 9. Dezember 1922. Taufpfarrer war der Theologieprofessor und linksliberale Politiker Paul Martin Rade (1857-1940), Redakteur der protestantischen Halbmonatsschrift „Die Christliche Welt. Evangelisches Gemeindeblatt für Gebildete aller Stände“. Rade gilt als Hauptvertreter des Kulturprotestantismus.
Die Familie Oswalt wohnte damals in der Eschenheimer Anlage 10, ab 1929 in der Merianstraße 55. 1936 musste verfolgungsbedingt der Verlag verkauft werden. Die Familie zog in die kleinere Stadtwohnung in die Bettinastraße 48. 1937 ging Heiri nach absolvierten Abitur zum Studium nach Zürich. 1938 starb Wilhelmine Oswalt an Leukämie.
Wilhelm Ernst Oswalt, dessen Familie seit Mitte des 19. Jahrhunderts protestantisch war, galt inzwischen - nach nationalsozialistischer Definition - als „Halbjude“ und wegen seiner jüdischen Frau als „Geltungsjude“. Er bemühte sich vergeblich seinen Sohn Ludwig ins Ausland zu bekommen.
Ludwig „Lux“ war in der Gemeindearbeit der Petersgemeinde aktiv, hielt Kindergottesdienste, war eng mit Pfarrer René Wallau verbunden und engagierte sich besonders für das Theaterspiel. Er schrieb Stücke, inszeniert sie und übernahm selbst eine Rolle.1940 begann er eine Lehre als Buchbinder, die er jedoch nicht fortsetzen durfte und stattdessen 1942 als Lagerarbeiter in den Eisenhandel versetzt wurde, später zu einer Fell- und Häutehandlung. Daneben war er in der Jugendarbeit der Petersgemeinde aktiv. Diese durfte er etwa ab März 1941 nicht mehr fortführen. „Zu unserem grossen Leidwesen hat irgendein nicht gerade wohlmeinender Wichtigtuer ihm die evangel. Gemeindearbeit abgegraben – seit etwa einem Monat!", schrieb sein Vater am 5. Mai 1941 an „Heiri“ nach Zürich. Ob das Aus von Ludwig Oswalts Gemeindearbeit tatsächlich auf diese Zeit zu datieren ist, ist fraglich. Jedenfalls sang er nach Aussagen eines etwa gleichaltrigen Verwandten im Kirchenchor der Petersgemeinde und soll den – erst im September 1941 eingeführten – „gelben Stern“ auf der Kleidung getragen haben.
Wilhelm Ernst Oswalt wurde wahrscheinlich Anfang 1942 verhaftet. Er soll vergessen haben, den diskriminierenden gelben Stern wie vorgeschrieben zu tragen. Unbekannten Datums wurde er in das Konzentrationslager Sachsenhausen verschleppt. Ludwig Oswalt erhielt am 7. Juni 1942 die Aufforderung, Frankfurt drei Tage später „zu verlassen“. Am Tag vor der Deportation verfasste er noch einen Brief „Meinen Freunden zum Abschied“.
Sein Bruder Heiri Oswalt heiratete 1944 in Zürich eine Helene Bläuer („Heli“). Aus der Ehe gingen die Tochter Ruth (1946) und der Sohn Stefan (1948) hervor. Ruth C. Oswalt wurde Schauspielerin, gründete mit ihrem Mann Gerd Imbsweiler das Vorstadttheater Basel.
2011 inszenierten sie das Theaterstück „Struwwelväter“ – die Familiengeschichte der Oswalts.
Irene Hilb half wahrscheinlich nach dem Tode von Wilhelmine Oswalt im Haushalt der Oswalts in der Bettinastraße, wo sie auch wohnte. Die ledige junge Frau kam aus Würzburg und war die Tochter von Marianne Hilb, geb. Wolff, und des Hochschullehrers und Mathematikers Professor Dr. Emil Hilb (1882-1929). Sie hatte die Sophienschule in Würzburg besucht und war ab 1935 wie ihre Mutter Mitglied im Jüdischen Kulturbund. Die Mutter lebte seit September 1936 als Witwe wieder in ihrem Elternhaus in Stadtoldendorf im Weserbergland. Ihr Vater hatte dort seit 1900 die vom Urgroßvater 1873 gegründete Weberei „A. J. Rothschild Söhne“ geleitet. Diese wurde nun von ihrem Bruder Dr. Richard Wolff – der Onkel Irene Hilbs –seit 1919 als technischer Leiter weitergeführt. Im Mai 1938 zog Marianne Hilb wieder zusammen ihrer Mutter nach Würzburg, vermutlich um der Hetze wegen des gegen ihren Bruder geführten Prozesses zu entgehen. Als sie von dessen Tod im Konzentrationslager Sachsenhausen (3. Februar 1940) erfuhr, erlitt sie einen Nervenzusammenbruch und zog am 24. August 1940 mit ihrer Mutter zur Tochter nach Frankfurt. Marianne Hilb wohnte mit ihrer Mutter Gertrud Wolff in der Liebigstr. 31, ihre letzte Wohnadresse soll dann die Bettinastraße 48 gewesen sein.
Marianne Hilb wurde wahrscheinlich zusammen mit ihrer Tochter Irene deportiert, auch ihr Todesdatum ist nicht bekannt. Gertrud Wolff wurde am 18. August 1942 nach Theresienstadt verschleppt, wo sie fünf Tage später starb. An beide erinneren Stolpersteine in Stadtoldendorf. Letztes Lebenszeichen von Irene Hilb ist eine Postkarte, datiert vom 20. Juli 1942, die sie aus dem Zwangsarbeiterlager Trawniki an Helene „Heli“ Bläuer, die damalige Freundin und spätere Ehefrau von Heinrich Oswalt, nach Zürich schrieb. Darin schrieb sie auch: „Der Lux arbeitet m.W. in Lublin“.
(c) Hartmut Schmidt